Verkehrsanalyse: Die Finger in die Wunden gelegt

Foto: Anja Pape

Beitrag vom Mittwoch, 01. Februar 2023

Verkehrsanalyse: Die Finger in die Wunden gelegt

In nur 35 Minuten stellte der Planungsingenieur und Geschäftsführer Dr. Michael Baier vom beauftragten Büro für Stadt- und Verkehrsplanung (BSV) aus Aachen die bisherigen Analyseergebnisse für das künftige Verkehrskonzept vor dem Ausschuss für Wirtschaft, Tourismus und Verkehr vor. Er umriss nicht nur die Großgemengelage der Verkehrssituation im Stadtbereich, sondern legte auch den Finger treffsicher in die Wunden. Schnell wurde deutlich: Das größte Konfliktpotenzial findet sich zwischen Fußgängern und Radfahrern, aber auch zwischen dem Linienverkehr und dem ruhenden Verkehr.

Schon bei der Untersuchung ist eines deutlich geworden: „Hier müssen wir anders herangehen als in den Städten auf dem Festland und Großstädten, weil sich hier ganz andere Fragen stellen.“ Und so zählten seine Mitarbeiter wie viele Autos fahren und stehen und wie viel Fahrräder fahren und wo und wie sich die Fußgänger bewegen. „Aber das Wichtige war, dass wir mit einer teilnehmenden Beobachtung den Verkehr auf Norderney wirklich erleben müssen, weil es so besonders hier ist: Das Zusammenspiel von vor allen Dingen Fußgängern und Radfahrern, aber auch dem Autoverkehr.“ Einfluss auf die Analyse hatten zudem die vielen Besonderheiten des saisonalen Verkehrs sowie Fahrverbote und weitere Einschränkungen des Inselverkehrs.

Seine Analyse zeigte die grundlegende Schwäche im Stadtbereich auf: Es fehlt an einheitlichen Regelungen, die schnell verstanden werden können. Zwar gebe es reichlich Schilder, aber zu heterogen und unverständlich seien die Regelungen und finden sich in der Gestaltung von Wegen, Straßen und Knotenpunkten nicht wider. „An manchen Stellen steht ein halber Schilderwald, aber wir haben festgestellt: Die Touristen sehen diese Schilder nicht“, so Dr. Baier.

Autoverkehr

Im Kfz-Verkehr zeige sich, dass es an den Knotenpunkten eine saisonunabhängige Grundbelastung gibt. In den Sommermonaten nimmt der Stellenwert des Radverkehrs zu: „Da haben wir drei- oder viermal mehr Radfahrer im Verkehr als Autos“, so der Planer.

Der touristische Reiseverkehr beschränke sich weitergehend auf die An- und Abfahrt von der Insel und Baier spricht an dieser Stelle vom „Rollenden Koffer“. Mit dem Wegfall des Verkehrsverbotes zum 1. November ist eine starke Zunahme des ruhenden Verkehrs vor allem durch Handwerker im Straßenraum zu beobachten, aber parallel auch eine deutliche Abnahme beim Radverkehr.

Linienbusse

Die Planer konnten in ihren Erhebungen beobachten, dass der öffentliche Nahverkehr vor allem von den Inselbesuchern genutzt wird und weniger von den Insulanern. Dr. Baier sieht Optimierungspotenzial im Busverkehr, beispielsweise bei der Benennung von Linien und der Aufbereitung der Fahrpläne, aber auch bei den Haltestellen, die nur vereinzelt mit einem Witterungsschutz ausgestattet sind und in der Regel keinen barrierefreien Einstieg ermöglichen. In dem neuen Ride-Pooling-Angebot (Rufwagen) hingegen sieht er eine gute Ergänzung zum klassischen Linienbusverkehr sowie beim Angebot der Taxen.

Radverkehr

Als eine besondere Herausforderung beschrieb der Planer den Radverkehr und stellte der Insel in diesem Punkt ein schlechtes Zeugnis aus: Fehlende oder plötzlich endende Radwege, oft sei nicht erkennbar, wie der Radverkehr weitergeführt wird oder die Wege seien deutlich zu schmal. Zudem haben die Planer einen deutlichen Mangel an Abstellanlagen, besonders im Innenstadtbereich an den Strandzugängen und am Hafen festgestellt.

Fußgänger

Gerade die Knotenpunkte sind für Fußgänger unübersichtlich und es fehlen Querungshilfen wie Zebrastreifen, so Baier. Die Gehwege sind deutlich zu schmal, kritisierte der Planer. „Da fragen sich die Touristen dann, warum soll ich jetzt auf dem Gehweg gehen, der viel zu schmal ist und teilweise durch abgestellte Räder verstellt ist“, verständlich, dass hier auf die Straßen ausgewichen wird, so der Planer. Neu für ihn war zudem das Abstellen von Rädern am Bordstein. „Das habe auch ich erstmals auf Norderney gesehen, dass man die Räder an der Bordsteinkante abstellt und nicht auf dem Gehweg“, gab Baier zu bedenken. Das Konfliktpotenzial zwischen Radfahrern und Fußgängern ist aus seiner Sicht vorprogrammiert, weil der Radverkehr unerlaubt in den Fußgängerzonen fahrt und entsprechende Beschilderungen und homogene Regelungen fehlen. „Eine Kontinuität in den Regelungen ist für die Radfahrer nicht erkennbar“, betonte Baier.