Beitrag vom Samstag, 14. Juni 2025
„Norderneyer Engel“ vergeben
Als einen „künstlerisch kraftvollen und gesellschaftlich hochrelevanten Beitrag zur Debatte um Zugehörigkeit und kulturelle Selbstbestimmung“ würdigt das Filmfest Emden-Norderney die Miniserie „Uncivilized“ von Bilal Bahadir mit dem Integrationspreis „Norderneyer Engel“. Schon nach einem Schulaufenthalt auf Norderney hatte Bahadir sich vorgenommen, die Insel erneut zu besuchen, erzählte er dem Filmfestpublikum im Kurtheater: „Als diese Nachricht kam, war die Freude äußerst groß. Jetzt habe ich sogar einen Grund mehr, als nur hier meinen Urlaub zu genießen.“
Bundespräsident a. D. Christian Wulff überreichte dem Regisseur die Auszeichnung persönlich. „Es gab Zeiten, da habe ich hier ganz locker gesagt, Integrationspreise müssen sich selbst abschaffen, denn irgendwann ist Integration selbstverständlich in unserer Gesellschaft implementiert“, begann Wulff seine Laudatio an den gebürtigen Stadthagener: „Inzwischen sehen wir aber alle die Lage sehr viel ernster. (…) Es gibt wieder Mehrheiten gegen Minderheiten, es gibt die Verunstaltung des Thüringer Landtages und es gibt den offenen Angriff auf die Europäische Union und die Vereinten Nationen in Form von Ächtlichmachung oder hybrider Kriegsführung. (…) Meine Sorge ist, dass wir wieder auf dem Weg zurück sind, wenn wir weiter so diskutieren und so streiten, wie das inzwischen in Deutschland, in der Welt wieder hoffähig geworden ist. Doch in einer Zeit, wo andere Mauern errichten, baut Bilal Bahadir Brücken.“
So bleibt Bahadirs Publikum nahezu keine andere Wahl, als sich in „Uncivilized“ in verschiedene Sichtweisen hineinzuversetzen. Dazu trägt wesentlich bei, dass die Darstellenden durchweg in ihren Rollen überzeugen. Die rasante und kompakte Erzählweise sorgt dafür, dass sekündlich eskalierende Situationen schon beim Zuschauen Überforderung spüren lassen. „Bahadir gelingt es, eine Erzählung zu entwickeln, die weder belehrt noch beschönigt, sondern aufrüttelt, hinterfragt und verbindet, die überzeugt durch eine dichte Atmosphäre, authentische Sprache und ein Ensemble, das mit großer Glaubwürdigkeit Figuren zwischen Herkunft und Ankommen, Anpassung und Widerstand verkörpert“, fasste es Jurymitglied und Journalistin Jackie Macumba zusammen: „Uncivilized stellt die Frage, was es bedeutet, zivilisiert zu sein und wer darüber entscheidet (…) und lässt die Zuschauenden mit Fragen zurück, die weit über die Laufzeit der Serie nachhallen.“
Die Serie schildert in seinen zwanzigminütigen Episoden die Auswirkungen von Weltgeschehnissen auf den Alltag von Menschen mit Migrationsgeschichte. In der Folge 9/11 sieht sich eine muslimische Lehrerin am Morgen nach dem Anschlag auf das World-Trade-Center mit Reaktionen ihrer Schüler und ihres Lehrerkollegiums konfrontiert. In einer Folge zum Ukrainekrieg möchte ein Paar Geflüchtete aufnehmen, doch statt einer ukrainischen Frau wartet ein Syrer auf sie. In der dritten Episode, die an diesem Abend gezeigt wurde, geraten vier Jugendliche im Kölner Nachtleben teils aus eigener Tapsigkeit, teils durch die Ablehnung und Vorurteile ihrer Mitmenschen immer wieder in Streitigkeiten und schließlich auch in Konflikt mit der Polizei.
Bahadir erzählt die Geschichten so, dass sie keine Täter-Opfer-Perspektive einnehmen, sondern auf mehreren Ebenen die Geschichten beleuchten. „Wir haben eine neue Perspektive versucht und die Community ihr Herz ausschütten lassen“, so Bahadir: „Das war für uns äußerst wichtig, denn diese Perspektive hat leider über die letzten Jahre gefehlt.“
Die Serie „Uncivilized“ ist bereits mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Zu sehen ist sie kostenfrei online in der Mediathek des ZDF.
Verfasst von Anja Pape
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